Juliane Stadler Foto: Steffen Beck

Wir befinden uns im 18. Jahrhundert – dem Zeitalter der Kuriositätenkabinette und Wunderkammern. Europa ist fasziniert vom Exotischen und so kommt es, dass auch ein Nashorn namens Clara auf dem gesamten Kontinent eine echte Berühmtheit ist. Clara war ein Panzernashorn, das Mitte des 18. Jahrhunderts auf eine siebzehnjährige Ausstellungstour durch Europa ging – und Clara spielt die Hauptrolle im neuen Historienroman „Die silberne Riesin“ von Jeannine Meighörner. „Ich wollte ein Tierschicksal erzählen“, sagt die Autorin, die aus Germersheim stammt. „Da wir uns im Umgang mit Tieren spiegeln. Als ich auf Claras Schicksal stieß, habe ich mich in diese außergewöhnliche Nashorndame sofort schockverliebt! „Mein Verlag fand die Idee zunächst ’schräg‘. Aber Nashörner sind spannende Tiere und hochsensible Kraftpakete!“

Clara – Superstar

Die Nashorndame Clara betrat 1741 in Rotterdam europäischen Boden, nachdem ihre Mutter in Indien von Wilderern umgebracht wurde, und war die Erste ihrer Art, die die Überfahrt und Ankunft in Europa nachweislich um viele Jahre überlebte.
Ebenso nachgewiesen: Clara hat zahlreiche Berühmtheiten ihrer Zeit persönlich getroffen: Casanova, der ihr sogar ein Gedicht widmete, Kaisern Maria Theresia, Friedrich der Große, Voltaire, Madame Pompadour – sie alle ließen sich von Clara verzaubern. Und so ist es auch kein Wunder, dass das Nashorn auch in der Kunst seiner Zeit bedeutende Spuren hinterlassen hat. Gedichte, Gemälde, Münzen, Porzellanfiguren, Holzschnitte – man kann sagen: Clara war der erste Star, der sein eigenes Merchandise hatte. Das Nashorn war so populär, dass sich nicht ganz so ehrliche Schausteller sogar als „Nashorn“ verkleideten, ihr bezahlendes Publikum täuschten und vorgaben, Clara zu sein – meist flog der Schwindel auf.
„Dass Clara ein Superstar ihrer Zeit war, verrät ihr Wikipedia-Eintrag. Ich wollte die Geschichte dahinter erzählen. Dafür krabbelt man durch Archive, spricht mit Zoologen. Ich bin auch gereist, denn Claras fast 20-jährige Tournee quer durch Europa, mit Start in Bengalen, war ja ein Art Roadmovie“, berichtet Jeannine Meighörner über die Recherchearbeit zu ihrem Buch.

Claras Reisen sind gut dokumentiert. Und so weiß man, dass das Tier im November 1747 in Mannheim, im Gasthof „Zum Pfau“ untergebracht war und Weihnachten in Straßburg verbrachte. Auch Meighörners Roman basiert auf den Berichten über Claras Reisen, die Germersheimer Autorin, die in Österreich lebt, greift die Anekdoten rund um das Tier und seine „Europa-Tour“ auf und fasst sie in ihrem Roman zusammen. Dabei schafft sie es, sowohl die Empfindungen des Tieres als auch die Gefühle der Menschen eindrücklich zu schildern und Claras Schicksal in einen spannenden historischen Kontext zu setzen.
„Bei mir müssen die Hauptpersonen und Fakten stimmen, da bin ich zu sehr Historikerin. Aber natürlich will ich eine spannende Story erzählen. Quietschfidele Nashörner im Schnee etwa durfte ich im Zoo Schönbrunn erleben. Diese Begeisterung jubelte ich dann Clara unter“, so die Autorin über ihre Arbeitsweise bei diesem Buch.

Neugier – Tierleid – Tierschutz

Nicht zuletzt gibt Meighörner einen Ausblick in die Gegenwart: Obwohl wir es heute besser machen sollten und instinktiv wissen, dass Tiere keine Objekte sind und nicht hinter Gitter gehören, sind es gerade die Nashörner, die weltweit aufgrund menschlicher Gier vor der Ausrottung stehen. Die Familie der Nashörner  umfasst vier Gattungen mit fünf Arten, von denen zwei in Afrika (Breitmaulnashorn und Spitzmaulnashorn) und drei in Asien vorkommen (Java-, Panzer-, Sumatra-Nashorn). Sie alle haben eines gemeinsam. Alle stehen auf der Roten Liste der bedrohten Tierarten. (Quelle: WWF)
„Claras Schicksal zeigt die Macht und die Ohnmacht eines Tieres. Sie beherrschte Kunststücke, war (meist) handzahm und liebte Tabak, Orangen und Bier. Auch diente sie als Studienobjekt der der aufblühenden Wissenschaft in der Zeit der Aufklärung. Haustiere verhätscheln wir, Nutztiere führen oft ein unwürdiges Leben, viele Wildtiere sind vom Aussterben bedroht. Auch Panzernashörner, von denen es noch rund 2.800 Exemplare gibt. Unsere Gier nach dem angeblichen „Wunderhorn“ gefährdet diese Tiere, die es seit fast 50 Millionen Jahren gibt. Selbst in Zoos schlug die Nashorn-Mafia schon zu: im Jahr 2017 tötete sie den Nashornbullen Vince in Frankreich und erbeutete sein Horn. Es wird auf dem Schwarzmarkt teurer gehandelt als Gold und Kokain. Davon handelt mein Epilog. Und ja, Claras Schicksal taugt auch als Fallbeispiel für den modernen Artenschutz“, sagt Meighörner über die Message hinter der unterhaltsamen Geschichte über das riesengroße „Kuscheltier“.

 

 

Die Germersheimer Autorin Jeannine Meighörner -Foto: Innfoto/ Wolfgang Lackner

Die Germersheimer Autorin Jeannine Meighörner – Foto: Innfoto/ Wolfgang Lackner

 

 

 
David Bowie Foto" ist erschienen im Verlag Salz und Silber