Juliane Stadler Foto: Steffen Beck
Theater in Karlsruhe ist gewöhnlich nicht gerade für seine Experimentierfreude bekannt, eine ausgesprochen wohltuende Ausnahme war jedoch am 5. Dezember,  die Premiere von „Antarktika – White Out“ am Badischen Staatstheater. Das Stück – inszeniert von Swana Rode – zeichnet, basierend auf den Reiseberichten und Tagebüchern von Roald Amundsen und Robert Falcon Scott, das Wettrennen zum Südpol nach. Dieser und die Antarktis galten 1911 als letztes unerforschtes Territorium auf der Erde, was die beiden Entdecker auf den Plan rief.

Beide brechen mit ihren Teams 1911 zum Südpol auf, am Ende ist Amundsen als erster am Ziel, Scott und seine Mannschaft verzweifeln an ihrem Scheitern und überleben die Reise nicht. In Rodes Inszenierung steht Scott für den kolonialistischen, zynisch-arroganten „Übermenschen“, der die Natur und alles Fremde als Feind sieht, mit Brachialgewalt, völlig wertfrei und kompromisslos ans Ziel kommen will. Amundsen hingegen respektiert die Natur. Statt sich ihr entgegenzustellen, kommt er – auf sie eingehend und sie verstehend – ans Ziel. Dennoch blieb Scott wegen seines dramatischen „Unglücks“ und aufgrund der überlieferten Legenden der eigentliche „Held“ der Geschichte. Manchmal ist es einfach „spektakulärer“ zu scheitern – auch das ein Element der Geschichte, das Rode beeindruckend darstellt.

Mutiges, modernes und junges Theater

Die Aufführung im Studio des Badischen Staatstheaters ist nichts für schwache Nerven, kein nettes,  zuschauerfreundliches Theater. Die Schauspieler – Frida Österberg und Gunnar Schmidt als „Team Amundsen“ und Timo Tank und Lucie Emons als „Team Scott“ – spielen wechselnde Rollen, mal Mensch, mal Tier, monologisieren die Reiseberichte und Tagebucheinträge der Entdecker, brüllen sich an, imitieren Motorschlitten, Hunde und Ponys – tanzen und spielen. Kurz und gut, sie leben die Geschichte mit Haut und Haar.
Ganz bewusst wirkt das manchmal absonderlich, übertrieben und absurd – aber gerade diese Absurdität ist es, die das Stück auf seine zweite Ebene hebt. Die den Kampf ums Überleben im ewigen Eis mit den Kämpfen des alltäglichen Dasein gleichsetzt, mit dem Gefühl der Fremdheit des Menschen in der Welt, die Camus als eben jenes „Absurde“ bezeichnet.
Die Schauspieler legen ihre „Polarausrüstung“ ab  – entkleiden sich, was im Zustand des Erfrierens ein bekanntes Phänomen ist – und gehen damit gleichzeitig auch optisch den Schritt von der Geschichte um die Forscher in die Metaebene des menschlichen Daseins. Der nicht enden wollende Marsch durch den Schnee wird dabei zum Symbol des stumpfen Alltag dieses menschlichen Daseins, der sich als nicht minder qualvoll und monoton erweist. Camus spricht von der Qual zwischen Hoffnung und Todesgewissheit – ein Gefühl das aus den Aufzeichnungen Amundsens ebenso spricht, wie aus denen von Scott. Ein Gefühl von Verzweiflung, vom Versinken in der Eintönigkeit des Lebens oder eben einer Polarexpedition.

Vom Rausch des Sieges zum Rausch der eigenen Verlorenheit

„Antarktika – White Out“ heißt das Stück: Als „White Out“ bezeichnet man das Phänomen der Helligkeit im ewigen Eis, die Boden und Himmel verschmelzen lässt. Ein Phänomen der rauschhaften Orientierungslosigkeit – für Polarforscher, aber auch für jeden anderen, der seine Perspektive irgendwo und irgendwann im Leben verloren hat.
Wer sich auf das Stück einlässt – auf das minimalistische, absurd-abstrakte Bühnenbild, in dem Kissen und Decken die schneebedeckten Berge und Schluchten der Antarktis darstellen, auf die laute, brillant „aufdringliche“ und eindringliche Spielweise der Schauspieler, der kann Eintauchen, sich treiben und berauschen lassen. „Antarktika – White Out“ ist nicht bequem oder nett anzuschauen, aber das Stück ist mitreißend, berührend und regt auf vielen Ebenen zum Nachdenken an. Eine wirklich gelungene Abwechslung im Karlsruher Theateralltag, die Lust auf mehr macht.
Eine weitere Aufführung ist für den 27. Dezember geplant.

David Bowie Foto" ist erschienen im Verlag Salz und Silber